Stiller Killer


Der kleine Ort Nebelgrund war ein verschlafenes Nest, eingeklemmt zwischen dichten Wäldern und einem stillen See, der immer zu schweigen schien. Hier schienen die Tage gleichförmig, die Nächte ohne besondere Ereignisse – bis die Morde begannen.

Niemand hörte etwas. Niemand sah etwas. Doch die Leichen tauchten auf, und jedes Mal waren sie in einer grotesken, beinahe künstlerischen Weise arrangiert: blutige Hände, die wie stumme Schreie in die Luft ragten, aufgerissene Münder, als wollten sie in den Tod noch etwas sagen. Es gab keine Anzeichen eines Kampfes, keine Spuren, kein Motiv. Nur Leichen und das beklemmende Gefühl, dass irgendetwas die Dunkelheit in Nebelgrund bewohnte.


Lisa Kroll war die Journalistin des kleinen Stadtblattes, und die Morde hatten sie gleichermaßen fasziniert und verängstigt. Sie war keine Kriminalreporterin, doch irgendetwas an diesen Taten ließ sie nicht los. Vor allem, weil jedes Opfer ein Detail gemeinsam hatte: Alle hatten die gleichen Worte in ihr Tagebuch, ihre Notizbücher oder ihre Handys geschrieben, kurz bevor sie starben.

„Er beobachtet mich.“

Niemand wusste, wer „Er“ war, oder ob es überhaupt ein Mensch war. Die Polizei tapste im Dunkeln. Keine Beweise, keine Verdächtigen. Nur Leichen, stummer Schrecken und diese Worte, die wie ein Warnsignal durch die Gemeinde hallten.

Lisa beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie recherchierte die Opfer, suchte nach Zusammenhängen, aber fand keine. Unterschiedliche Alter, Berufe, Lebensstile. Das Einzige, was sie verband, war, dass sie alle irgendwann behauptet hatten, „etwas“ gesehen zu haben – eine dunkle Gestalt, ein Schatten, der immer da war, wenn sie allein waren.


In der Nacht, als es begann, regnete es in Strömen. Lisa saß in ihrer Wohnung und studierte die alten Akten der Polizei, die sie sich unter der Hand besorgt hatte. Die Wohnung war still, abgesehen vom Tropfen des Regens gegen die Fenster. Doch dann spürte sie es.

Es war kein Geräusch, kein Schatten. Nur das Gefühl. Diese bedrückende Präsenz, als ob jemand hinter ihr stand und sie ansah. Ihr Nacken prickelte, und sie zwang sich, nicht den Kopf zu drehen. Ihre Gedanken rasten. Sie hatte genug Geschichten gehört, um zu wissen, was das bedeutete.

„Er beobachtet mich.“

Die Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie zwang sich, tief durchzuatmen und konzentriert zu bleiben. Doch als sie auf den Bildschirm ihres Laptops schaute, erstarrte sie. Die Worte standen dort. Schwarz auf weiß.

„Ich sehe dich.“

Lisas Herz raste. Sie hatte das nicht geschrieben. Hatte jemand Zugriff auf ihren Computer? Schnell zog sie den Stecker und stand auf. Ihre Wohnung war leer, die Tür war abgeschlossen, die Fenster verriegelt. Es gab keinen Weg, wie jemand hineingekommen sein konnte. Doch das Gefühl wurde stärker – diese erdrückende Gewissheit, dass etwas hier war.


Die folgenden Nächte wurden zur Qual. Lisa schlief kaum noch, und wenn sie es tat, erwachte sie schweißgebadet aus Alpträumen, in denen sie verfolgt wurde. Sie sah Gestalten in den Schatten, hörte ein leises Atmen, das nie wirklich da war. Doch je mehr sie versuchte, sich einzureden, dass es Einbildung war, desto realer wurde es.

Eines Nachts, als sie zu spät arbeitete, hörte sie ein leises Kratzen an ihrer Tür. Es war kaum wahrnehmbar, aber es ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie stand auf und schlich zur Tür, ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen.

„Wer ist da?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Keine Antwort. Doch das Kratzen hörte nicht auf. Langsam öffnete sie die Tür einen Spalt breit. Der Flur war leer, doch etwas stimmte nicht. Die Dunkelheit im Flur wirkte dichter, schwerer, fast als hätte sie ein eigenes Gewicht. Dann sah sie es.

Ein Schatten, der sich bewegte. Kein Mensch, sondern etwas... anderes. Die Umrisse waren verzerrt, als würde es aus einer anderen Realität stammen. Es hatte keine Augen, doch Lisa spürte, dass es sie ansah. Sie schlug die Tür zu und drückte sich mit dem Rücken dagegen. Ihr Atem ging stoßweise, und in ihrem Kopf hallte eine einzige Frage:

„Was will es von mir?“


Am nächsten Morgen fand man Lisas Wohnung leer vor. Ihr Laptop war eingeschaltet, und der Bildschirm zeigte nur einen Satz:

„Der Stille Killer hat wieder zugeschlagen.“

Die Polizei suchte tagelang nach Spuren, doch Lisa war wie vom Erdboden verschluckt. In Nebelgrund kehrte vorerst Ruhe ein, doch das Flüstern begann bald wieder. Ein neues Opfer, neue Spuren – oder besser gesagt, keine. Und immer dasselbe Gefühl, dass jemand da war, in der Dunkelheit. Immer. Wartend.


Der Stille Killer hat nie ein Gesicht. Aber er findet dich. Immer.

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Kommentare:

HikerPro: Habe die Koordinaten überprüft. Der Weg existiert wirklich, ist aber gesperrt...

RangerMike: Ich arbeite auch als Ranger. Wir haben ähnliche Berichte aus anderen Parks.

WoodlandExplorer: Hat jemand die alten Karten von 1923? Da muss es doch Aufzeichnungen geben!

TruthSeeker23: Die GPS-Zeiten sind kein Zufall. 3:33 ist die gespiegelte Hälfte von 666...